Dieser Text war die Grundlage unserer Gespräche der vierten Woche im sechs-wöchigen Seminar zu den Upaniṣaden 2020. Ich möchte ihn an dieser Stelle zum allgemeinen Lesen zur Verfügung stellen.

Hier gehts zum Text der ersten Woche!

Hier gehts zum Text der zweiten Woche!

Hier gehts zum Text der dritten Woche!

Wenn du Lust hast an einem kommenden Philosophie-Seminar teilzunehmen, schreib mir einfach: florentinahausknotz@gmail.com

Hier gibts Informationen zum nächsten Kurs!

Die Chāndogya Upaniṣad

„Da sprachen die Feuer untereinander: »Der Schüler härmt sich und hat uns doch wohl bedient. Wohlan! laßt uns ihm die Wissenschaft lehren!«“[1]

Die Chāndogya Upaniṣad wendet sich reflektierend dem Sāmaveda zu, den rituellen Gesängen. In diesem Sinn beschäftigt sich die Chāndogya Upaniṣad mit dem Udgītha, dem vom Udgātar vorgetragenen Gesang im Zuge des Opferrituals. Oṃ ist das Zentrum der Gesänge, das Opfer ist abhängig von dieser Silbe, die den Ausgangspunkt der drei Veden bildet.

Udgītha[2]

„(…) ud ist der Prāṇa[3], denn durch den Prāṇa steht man aufrecht, gī ist die Rede, denn Anrufungen (giraḥ) sind Reden; tha ist die Nahrung, denn in der Nahrung ist die ganze Welt beruhend (sthita);

(…) ud ist der Himmel, gī der Luftraum, tha die Erde;
ud ist Āditya, gī ist Vāyu, tha Agni;[4]
ud ist der Sāmaveda, gī der Yajurveda, tha der Ṛigveda.
Dem läßt die Rede Melktrank strömen, den Melktrank, der der Rede eigen ist, der wird nahrungsreich, nahrungsgenießend, wer, solches wissend, diese Silben des Wortes ud-gī-tha verehrt.“[5]

Oṃ

„Oṃ! als diese Silbe soll man den Udgītha verehren! Denn mit Oṃ [anfangend] singt man ihn.

(…)

Die Ṛic ist die Rede, das Sāman[6] ist (Odem) (prāṇa), der Udgītha ist die Silbe Oṃ. Darum bilden sie ein Paar, die Rede und der Odem, die Ṛic und das Sāman.

Und dieses Paar vereinigt sich in der Silbe Oṃ. Wenn aber zwei Gepaarte sich zusammenfinden, so vollbringen sie aneinander Liebes.

(…)

Sie ist aber auch die Silbe der Zustimmung, denn wenn man in irgend etwas zustimmt, so sagt man Oṃ (Ja). Zustimmung aber ist Förderung.

(…)

In ihr bewegt sich diese dreifache Wissenschaft [der Veden]; denn mit Oṃ ruft der [Adhvaryu] zu, und mit Oṃ rezitiert der [Hotar], und Oṃ singt der [Udgātar], um dieser Silbe Ehrfurcht zu zollen, wegen ihrer Majestät, wegen ihrer Essenz.

Mit ihr verrichten zwar beide das [Ofer-]Werk, wer dieses also weiß, und wer es nicht weiß. Aber doch ist ein Unterschied zwischen Wissen und Nichtwissen. Denn was man mit Wissen verrichtet, mit Glauben, mit der Upanishad [der Kenntnis des geheimen Sinnes von Udgītha als Oṃ], das ist wirkungskräftiger.

So also ist die Erklärung dieser Silbe.“[7]

Wer sich in die Silbe Om flüchtet wird so unsterblich wie die Götter auch.

„Oṃ! diese Silbe soll man verehren.

(…)

Die Götter da sie sich vor dem Tode fürchteten, flüchteten sich in die dreifache Wissenschaft.

(…)

Aber der Tod erspähte sie daselbst, wie man einen Fisch im Wasser erspäht, in der Ṛic, im Sāman, im Yajus. Das merkten die Götter, erhoben sich über die Ṛic, das Sāman und das Yajus und flüchteten sich in den Klang.

(…)

Wenn man die Ṛic anwendet, so läßt man dieselbe ausklingen in den Laut Oṃ; ebenso ein Sāman; ebenso ein Yajus[8]. Also der Klang, das ist jene Silbe; sie ist das Unsterbliche, das Furchtlose. Und indem die Götter sich in sie flüchteten, wurden sie unsterblich und furchtlos.“[9]

Oṃ und das Universum – Prajāpati

„Prajāpati bebrütete die Welträume; aus ihnen, da er sie bebrütete, floß die dreifache Wissenschaft [der Veden]. Diese bebrütete er; aus ihr, da er sie bebrütete, flossen diese Laute: bhūr, bhuvaḥ, svar [Erde, Luftraum, Himmel].

Diese bebrütete er; aus ihnen, da er sie bebrütete, floß der Laut Oṃ. Darum, gleichwie durch einen Nagel (śañku) alle Blätter zusammengebohrt (saṃtṛiṇṇa) werden, also ist durch den Laut Oṃ alle Rede zusammengebohrt; der Laut Oṃ ist diese ganze Welt, – der Laut Oṃ ist diese ganze Welt.“[10]

Gāyatri

Das Gāyatri ist das Gewordene und besingt dieses als Mantra, es ist folglich identisch mit der Erde, weil auf dieser alles Gewordene gegründet ist – damit identisch mit dem Leib (Träger des Lebens) und ebenso identisch mit dem Herzen. So ist das Gāyatri sechsfach: Rede, Gewordenes, Erde, Leib, Herz und Lebensorgane. Es baut sich auf vier Säulen auf, erstens Puruṣa[11], der in allem Gewordenen verkörpert ist und auf drei Bausteinen, die in der Ewigkeit liegen: Der Raum außerhalb des Menschen, der identisch ist mit dem Raum im Menschen, der dem Raum im Herzen entspricht. Dieser Raum wird an dieser Stelle als das Brahman bezeichnet, er ist die Fülle und unwandelbar.

„Gāyatri ist alles dieses Gewordene

(…)

Was dieses Gāyatri ist, das ist dasselbe, was diese Erde ist

(…)

dasselbe, was dieser Leib hier am Menschen ist, denn in ihm sind diese Lebenshauche

(…)

das ist dasselbe, was dieses Herz, hier in dem Menschen ist

(…)

Was nun dieses »Brahman« Genannte ist, das ist dasselbe, was jener Raum außerhalb des Menschen ist; – und was jener Raum außerhalb des Menschen ist, das ist dasselbe, was dieser Raum innerhalb des Menschen ist; – und was dieser Raum innerhalb des Menschen ist, das ist dasselbe, was dieser Raum innerhalb des Herzens ist.
Das ist das Volle, Unwandelbare.

Volles, unwandelbares Glück empfängt, wer solches weiß.“[12]

Śvetaketu, der Sohn des Uddālaka Āruni

Zuerst sei angemerkt, Verwandtschaftsverhältnisse sind in den Upaniṣaden zufällig, ist einer im Moment der Vater, so taucht die gleiche Gestalt an anderer Stelle als Sohn, als Schüler oder Vater eines anderen Sohnes auf. Wichtig zu wissen ist, dass der folgende Dialog zwischen einem wissenden Vater und seinem Sohn, der nach langem Veda-Studium nachhause zurückkehrt, passiert.

Mit zwölf Jahren ist Śvetaketu ausgezogen, um zwölf Jahre später wieder zurückzukehren. Das Problem des Dialogs ist die Unmöglichkeit der Erkenntnis durch Namen, die Welt erscheint vielgestaltig, herrschendes Prinzip ist die Verwandlung. Doch sobald Verwandlung als Wort dasteht, verdeckt es seine Bedeutung. Werden und Vergehen passiert in der Welt der Namen, das zu Suchende ist so nicht zu greifen.

Sowie; die Welt kommt aus der Fülle aus dem Seienden. In einer Weltsicht, die auf Verwandlung beruht, muss Erschaffung aus dem Nichts irrational erscheinen.

tat tvam asi – das bist du

„Hier in dieser Brahmanstadt [das Herz]; inwendig darinnen ist ein kleiner Raum; was in dem ist, das soll man erforschen, das wahrlich soll man suchen zu erkennen.“[13]

Für die Tiere

„Wenn, o Teurer, die Bienen den Honig bereiten, so sammeln sie die Säfte von mancherlei Bäumen und tragen den Saft zur Einheit zusammen.

Sowie in dieser jene Säfte keinen Unterschied behalten des bestimmten Baumes, dessen Saft sie sind, also fürwahr, o Teurer, haben auch alle diese Kreaturen, wenn sie [in Tiefschlaf und Tod] in das Seiende, eingehen, kein Bewußtsein davon, daß sie eingehen in das Seiende.

Selbige, ob sie hier Tiger sind oder Löwe, oder Wolf, oder Eber, oder Wurm, oder Vogel, oder Bremse, oder Mücke: was sie immer sein mögen, dazu werden sie wiedergestaltet. –

Was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus dem ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Śvetaketu!“[14]

Für die Flüsse, die Bäume, das Salzwasser, Manas, den Menschen und die Wahrheit …

„Um einen todkranken Mann sitzen seine Verwandten herum und fragen ihn: ›Erkennst du mich? Erkennst du mich‹

Solange noch nicht seine Rede eingegangen ist in das Manas, sein Manas in den Prāṇa (Leben), sein Prāṇa in die Glut, die Glut in die höchste Gottheit, so lange erkennt er sie.

aber nachdem seine Rede eingegangen ist in das Manas, sein Manas in den Prāṇa, sein Prāṇa in die Glut, die Glut in die höchste Gottheit, als dann erkennt er sie nicht mehr. –

Was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus dem ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Śvetaketu!“[15]

Die Kena Upaniṣad

Die Kena Upaniṣad (kenopaniṣad) kommt aus der Linie der Talavakāra Brāhmaṇa, so war auch der Name in früherer Zeit ein anderer. Es setze sich aber die Bezeichnung nach dem ersten Wort KENA – Durch wen? Womit? Wodurch? Unseres Wissens nach, zuerst – durch.

„Es geschah, daß Brahman für die Götter den Sieg [über die Dämonen] erfocht. Die Götter aber brüsteten sich ob dieses Sieges des Brahman; denn sie dachten: »Unser ist dieser Sieg, unser ist dieser Ruhm.«

Als das Brahman bemerkte, daß sie das taten, machte es sich ihnen offenbar; sie aber erkannten es nicht und sprachen: »Was ist das für ein Wunderding?«

Und sie sprachen zu Agni: »Erforsche doch, o Wesenkenner, was das für ein Wunderding ist!«, – So sei es!« sprach er.

Und er stürzte auf dasselbe los. Da redete das Brahman ihn an und sprach: »Wer bist du?« – »Ich bin Agni«, sprach er, »ich bin der Kenner der Wesen.« –

»Wenn du der bist, welches ist deine Kunst?« – »Ich vermag, dieses alles zu verbrennen, was hier auf Erden ist.« –

Da legte Brahman einen Strohhalm vor und sprach: »So verbrenne dieses!« – Er stürmte darauf los mit allem Ungestüme, aber er vermochte nicht, ihn zu verbrennen. Da kehrte er zurück und sprach: »Ich habe es nicht zu erforschen vermocht, was das für ein Wunderding ist.«“

Vāyu ist der Nächste, er vermag den Strohhalm als Wind nicht fortzureißen.

„Da sprachen sie zu Indra: »Erforsche doch, o Mächtiger, was das für ein Wunderding ist!« – »So sei es!« sprach er. Und er stürzte auf dasselbe los. Da verbarg es sich vor ihm.

Er aber begegnete an demselbigen Orte einem Weib, die war sehr schön, der Umā, Tochter des Himavant [der Gemahlin des Śiva, hier nach Shank., als Personifikation des Wissens auftretend]. Zu der sprach er: »Was ist das für ein Wunderding?«“

Diese Passage ist sehr interessant. Drei Götter, die sich gerne im »Draufhauen« üben würden, stürzten auf das Umfassende und Grundlegende los. Sie schaffen nicht seine Aufgaben zu lösen. Vor Indras Augen jedoch verbirgt sich das Brahman und lässt eine schöne Frau dem Indra – der den Damen nicht abgeneigt ist – als Berichterstatterin und Wissende erscheinen.

„»Das ist das Brahman«, sprach sie, »das Brahman, welches jenen Sieg erfocht, ob des ihr euch brüstet!« – Da erst erkannte er, daß es das Brahman war.“

Indra wird so zum König der Götter, weil er dem Urgrund am nächsten war und es vermochte ihn zu erkennen. Dementsprechend ist auch seine besondere Kraft – er ist Herr über Blitz und Donner – der Blitz wird abschließend als Werkzeug der Unterweisung über die Gottheit dargestellt.

„Über selbiges ist diese Unterweisung. Was an dem Blitze das ist, daß es blitzt und man ruft »ah« und schließt die Augen, – dies, daß man »ah« ruft [ist seine Unterweisung] in bezug auf die Gottheit.“[16]

Indra vermag das sich Verbergende zu erkennen, weil er kurz zweifelt und eine Frage stellen muss, der Moment der Irritation des Nicht-Handelns führt zur Erkenntnis.

„Der Begriff Ātman, der wörtlich ›Selbst‹ heißt und auch einfach als Reflexivpronomen gebraucht wird, geht von der Innerlichkeit aus, von der Selbstreflexion und Suche nach dem tiefsten Grund im eigenen Ich. Er stützt sich weniger als die anderen Begriffe auf eine vedische Vorgeschichte und ist aus der Meditation und Versenkung der upanishadischen Seher entstanden. Doch hat auch er verschiedene Bedeutungen durchlaufen, die den Stufen der Suche nach dem eigentlichen Selbst des Menschen entsprechen: Ātman bedeutet, vor allem in den älteren Upanishaden, oft einfach den Körper, oder die ganze leib-seelische Persönlichkeit, und wird immer mehr erweitert zu einer universalen, allumfassenden Immanenz. Das innerste Wesen des Menschen ist auch das innerste Wesen der Welt. Immer bleibt dabei der Aspekt der Innerlichkeit erhalten und der Namenlosigkeit, denn das Selbst kann nur immer das von jedem Menschen in seinem Inneren Erfahrene sein.“[17]

Literaturverzeichnis

Bäumer, B. (1994). Upanishaden – Befreiung zum Sein. München: Wilhelm Heyne Verlag.

Michel, P. (. (2007). Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda. Wiesbaden: Marix Verlag.


[1] (Michel, 2007, S. 178)

[2] Singen, Vorsingen / Udgātar – Hauptpriester für den Gesangsteil des Opfers

[3] Atem, Lebensodem, Hauch, (Körper-)Wind, Lebensprinzip, Intellekt, Leben, Lebenszeichen, Organe der Seele (Atem, Sprache, Sehen, Gehör, Denken)

[4] Āditya gilt als Gött/in des Himmels, Vāyu als jene/r der Lufträume und Winde, Agni die Gött/in des Feuers als Hauptgott der Erde.

[5] (Michel, 2007, S. 117)

[6] Gesang des Sāma Veda, kann aber auch Güte und Milde oder Reichtum/Besitz bedeuten.

[7] (Michel, 2007, S. 112-113)

[8] Verehrung, ritueller Opferspruch

[9] (Michel, 2007, S. 118)

[10] (S. 146)

[11] Mensch, Mann, Diener, Geschlecht, Generation, Person, Geist, Seele, Weltgeist, Lebenskraft, Pupille

[12] (Michel, 2007, S. 155-156)

[13] (S. 251)

[14] (Michel, 2007, S. 226)

[15] (S. 229)

[16] (Michel, 2007, S. 271-273)

[17] (Bäumer, 1994, S. 42-43)