Dieser Text war die Grundlage unserer Gespräche der dritten Woche im sechs-wöchigen Seminar zu den Upaniṣaden 2020. Ich möchte ihn an dieser Stelle zum allgemeinen Lesen zur Verfügung stellen.
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„Von einer theologischen Perspektive aus könnten wir die upanishadische Weisheit in zwei Sätze (Sūtras) konzentrieren:
a) Der Sinn des Lebens ist die Erlangung von mokṣa: Die Befreiung des Ātman ist das Ziel jeder Tätigkeit. Alles wird um des Ātman willen getan, aber der Ātman bedeutet grenzenlose Freiheit. (…) Der Weg zur Freiheit ist selbst frei. Sich an die eigene Freiheit zu klammern ist eine andere Art der Bindung, die wir zerbrechen müssen.
b) Mokṣa ist ānanda: Erlösung bedeutet Freude (…)“[1]
Raimundo Panikkar
Die Aitareya Upaniṣad
Der Name dieser Upaniṣad – so die Erzählung – geht auf den Sohn der Itarā (Mahidāsa Aitareya) zurück. Sie war eine von vielen Gattinnen eines berühmten Riṣis oder Sehers. Der mochte eben diesen Sohn nicht so sehr und zog die anderen Kinder vor. Beim Anblick des traurigen Gesichts ihres Sohnes ruft Itarā ihrer Familie Gottheit an, die Erde. Die Erde erscheint vor der Opferversammlung des Sehers, setzt den Burschen auf einen Thron und offenbart ihm die Upaniṣad, beschenkt ihn damit durch Überlegenheit an Wissen.
„Zu Anfang war diese Welt allein Ātman; es war nichts anderes da, die Augen aufzuschlagen. Er erwog: »Ich will Welten schaffen!«“[2]
Ātman – Hauch, Seele, Selbst, das eigentliche Wesen des Menschen.
Drei Themen können vorab zusammengefasst werden.
Die Aitareya Upaniṣad ist eine Art Schöpfungsbericht. Es beginnt, anwesend ist nur Ātman, sie/er beginnt sich Welten zu schaffen. Der Urmensch wird von Ātman aus dem ursprünglichen Gewässer gefischt. Der Mensch wird damit von Ātman abhängig und ausgebrütet. Ātman wird zum Lebensprinzip.
Die Geburt jedes Ātman wird dreiartig beschrieben als erstes zur Weltkommen eines Kindes, die Zeugung, die Zeit der Pflege, die es fähig – den Sohn fähig macht – die Veda-Pflichten – des Vaters – zu vertreten und drittens wird die Neugeburt des Vaters nach dem Tode als Geburt des Ātman beschrieben. Es wird vermischt von Vater und Sohn gesprochen, weswegen angenommen wird, dass diese ein Ātman teilen.
Das Wesen des Ātman umfasst alle Organe, Energien und Kräfte, es ist vom Bewusstsein geleitet und in diesem gegründet, das genannte Bewusstsein ist Brahman.
Brahman – Andacht, Priester, Brahmane, Schöpfer der Welt, Schöpfer-Gott des indischen Pantheons, das eine immanente transzendente wahre Sein.
Brahman hat in den Upaniṣaden keine personelle Bedeutung und ist die alles durchdringende Essenz, das eigentliche Wesen der Welt und jedes Individuellen. Seine Form ist den Upaniṣaden zufolge saccidānanda: sat (seiend, existierend, vorhanden, stattfindend – kann aber auch gut oder echt bedeuten) – cit (wahrnehmen, beachten, erscheinen, sich zeigen, verstehen, aber auch beispielsweise begehren) – ānanda (Wonne).
Die Vorgehensweise des Texts ist aufzählend. Wird von der Entstehung der Elemente berichtet, so ist man bemüht möglichst alle Formen aufzuzählen, wie sie aus anderem folgen. Ich habe die Aufzählung abgekürzt und mich bemüht, scheinbar zentrale Stellen auszuwählen.
Die Elemente
„Er [Ātman] erwog: »Da sind nun die Welten: ich will jetzt Weltenhüter schaffen!« Da holte er aus den Wassern einen Purusha (Mann) hervor und formte ihn.
Puruṣa – Mensch, Mann, Diener oder Geist, Seele, Lebenskraft
Den bebrütete er; da er ihn bebrütete, spaltete sich sein Mund wie ein Ei, aus dem Munde entsprang die Rede, aus der Rede Agni.
Agni – Feuer, Name des Feuergottes, Verdauung, Feueraltar
(…)
das Herz spaltete sich, aus dem Herzen entsprang das Manas, aus dem Manas der Mond;
Manas – Geist, Seele, Verstand, Gedanke, Vorstellung, Absicht oder auch Wunsch
der Nabel spaltete sich, aus dem Nabel entsprang der Apāna (Aushauch), aus dem Apāna Mṛityu (der Tod)
das Zeugungsglied spaltete sich, aus dem Zeugungsglied entsprang der Same, aus dem Samen die Wasser.“[3]
Der Elemente Wohnung
„Diese Gottheiten, nachdem sie geschaffen, stürzten in diesen großen Ozean herab; den gab er dem Hunger und dem Durst preis. Da sprachen jene zu ihm: »Ersieh uns einen Standort, in dem wir feststehen und Speiße essen mögen!«
[die Kuh und das Pferd mag den Göttern nicht passen, so …]
Da führte er ihnen einen Menschen vor. Da sprachen sie: »Ei, das ist wohlgelungen!« Denn der Mensch ist wohlgelungen. Er sprach zu ihnen: »So fahrt in ihn je nach eurem Standort hinein!«“[4]
So waren die Sinnesorgane entstanden.
„Da geschah es, daß
Agni als Rede in seinen Mund einging,
Vāyu als Prāṇa in seine Nase einging,
Āditya als Gesicht in seine Augen einging,
die Di’s` als Gehör in seine Ohren eingingen.
Kräuter und Bäume als Haare in seine Haut eingingen,
Der Mond als Manas in sein Herz einging,
Mṛityu als Apāna in seinen Nabel einging,
Die Wasser als Samen in sein Zeugungsglied eingingen.
Vāyu – Wind, Luft, Hauch, Gott des Windes
Prāṇa – Atem, Lebensodem, Hauch, (Körper-) Wind, Lebensprinzip, Organe der Seele
Āditya – Ādi ist der Anfang, Āditya Ritus der Somaschöpfung, die Entstehung der Welt…
Di’s` – Enden, das Vergehen
Da sprachen Hunger und Durst zu ihm: »Ersieh auch für uns einen Standort!« Und er sprach: »In diesen Gottheiten mache ich euch mitgenießend, in diesen Gottheiten mache ich euch zu Teilnehmern« – Daher kommt es, daß, für welche Gottheit immer die Opferspeise beschafft wird, in der sind der Hunger und Durst Teilnehmer daran.“[5]
Was essen?
„Diese [die Nahrung], da sie geschaffen war (abhisṛishṭaṃ sat), suchte ihm wegzulaufen; da suchte er sie zu greifen; hätte er sie mit der Rede gegriffen, so würde man durch bloßes Aussprechen der Nahrung satt werden; (…)“[6]
[da suchte er sie zu greifen mit – Einhauch / Auge / Ohr / Haut / Manas / Zeugungsglied …]
„(…) da suchte er sie zu greifen mit dem Aushauch (Apāna, hier wohl Prinzip der Verdauung): da verschlang er sie.“[7]
Was bin ich?
(…)
Er [Ātman] erwog: »Wie könnte dieses [Menschengefüge] ohne mich bestehen? Und er erwog: »Auf welchem Weg soll ich in dasselbe eingehen?« Und er erwog: »Wenn durch die Rede gesprochen, durch den Prāṇa eingehaucht, durch das Auge gesehen, durch das Ohr gehört, durch die Haut gefühlt, durch das Manas gedacht, durch den Apāna ausgehaucht, durch das Zeugungsglied ergossen wird, – wer bin denn ich?«
Da spaltete er hier den Scheitel und ging durch diese Pforte hinein. Diese Pforte heißt Vidṛiti (Kopfnaht, wörtlich »Spalt«), und selbige ist der Seligkeit Stätte.
Drei Wohnstätten hat er und drei Traumstände [Wachen, Traum, Tiefschlaf]; er wohnt hier [im Auge, beim Wachen], und wohnt hier [im Manas, beim Träumen], und wohnt hier [im Äther des Herzens, beim Tiefschlaf].“[8]
Ātman ist im Mann als Keim angelegt, der Frau schenkt er den Ātman durch den Samen, sie pflegt ihn als Sohn, der Mann bildet ihn als Nachfolger aus. So kann dieses Ātman seine zweite Geburt erleben, der Vater stirbt verlässt diese Welten und derselbe Ātman erlebt seine dritte Geburt.
Man mag nun über die Rolle der Frau in diesen alten Texten spekulieren. Ein zu schönes Bild wird man nicht schaffen sich zu malen! Allerdings sei erwähnt, dass überlegt werden muss, welche Bilder über die Verwendung von Weiblichkeit und Männlichkeit erstellt werden sollen. Vermeintliche Rollenbilder aus den Upaniṣaden sollten keinesfalls als zeitgemäß ins Leben übernommen werden!
„Was dieses Herz und Manas ist, das Überdenken, Ausdenken, Bedenken, Erdenken, Verstand, Einsicht, Entschluß, Absicht, Verlangen, Leidenschaft, Erinnerung, Vorstellung, Kraft, Leben, Liebe, Wille, – diese alle sind Namen des Bewußtseins.
Dieses ist Brahman, dieses ist Indra, dieses ist Prajāpati, dieses ist alle Götter, (…)“[9]
Indra – Gott von Sturm und Regen, Gott der Krieger, bricht jeden Widerstand, höchster König …
Prajāpati
„Prajāpati war allein. Er wußte nicht einmal, ob es ihn gab oder nicht. »Sozusagen«, iva. (Sobald man einen entscheidenden Punkt berührt, sollte man seine Behauptung mit iva, der Partikel des Unverbindlichen, abschwächen.) Es gab nämlich nur den Geist, manas. Der Geist hat die Eigenheit, daß er nicht weiß, ob es ihn gibt oder nicht. Aber er kommt vor allem anderen. »Vor dem Geist gibt es nichts.« Und noch bevor er sich vergewisserte, ob es ihn gab, begehrte der Geist. Er war stetig, überall verbreitet, unbestimmt. Wie von etwas Exotischem angezogen, das zu einer anderen Art Leben gehört, begehrte er das Bestimmte, das Getrennte, das, was Umrisse hat. Ein selbst, ātman, so nannte er es. Und in seiner Vorstellung war dieses Selbst etwas, das Bestand hat. Während der Geist am Werk war, begann er zu glühen. Er sah, wie sich sechsunddreißigtausend Feuer entzündeten, aus Geist und mit Geist gemacht. Über den Feuern schwebten sechsunddreißigtausend Trinkschalen, ebenfalls aus Geist gemacht.
Prajāpati blieb mit geschlossenen Augen liegen.“[10]
Die Kauṣītaki Upaniṣad
Diese Upaniṣad trägt ihren Namen weil sie der Schule der Kauṣītakins gehört, auf sie zurückgeht.
Prāṇa
„Der Prāṇa ist das Brahman, also sprach Kaushītaki. Diesem Prāṇa als Brahman dient das Manas als Bote, das Auge als Wächter, das Ohr als Anmelder, die Rede als Aufwärterin.“[11]
Dieser Abschnitt wird von einer interessanten Geschichte begleitet. Die alle Wissenden die hier über Prāṇa sprechen zu einem gemeinsamen Merksatz bringt.
„Seine Upanishad (geheime Losung) ist, nicht zu bitten (…)“[12]
Es wird ein Gleichnis eingeführt. Ein Bettler wandert durch ein Dorf, er ist hungrig, aber keiner will ihm geben. Enttäuscht von den Menschen setzt er sich nieder und denkt bei sich, dass er von denen, selbst wenn sie ihm geben würden sowieso nicht essen möchte. Die Entscheidung ist getroffen und die Menschen kommen heran, um ihn zu bedienen. Diese Geschichte ist ein Versuch den Erkenntnisprozess zu veranschaulichen, sich Gewalt aufzwingend und bittend versucht zu Beginn ein Weg gefunden zu werden, doch erst als der Bettler oder Erkennende seine Aktivität gehen lassen kann, wird er mit Mahlzeit und Wissen versorgt. Die geheime Lehre, die die Wissenden in Folge vortragen, ist: Das höchste Wissen zu sein und zu haben, bedeutet nicht mehr bitten zu müssen. In diesem Sinne wird Brahman als jenes beschrieben, dem alle anderen Kräfte dienstbar sind, ohne dass es der Aufforderung bedarf.
Und Prāṇa ist Brahman!
Krieg?
„Solange Indrā diesen Ātman (Selbst) nicht erkannt hatte, so lange waren ihm die Asuras überlegen; aber nachdem er ihn erkannt hatte, schlug er die Asuras und erlangte dadurch, daß er sie besiegte, über alle Götter und alle Wesen die Prinzipalität, Autonomie, Oberherrlichkeit.
Asuras – böse Geister, Dämonen
Und ebenso auch der solches Wissende schlägt alle Übel ab und erlangt über alle Wesen die Prinzipalität, Autonomie, Oberherrlichkeit, wenn er solches weiß, – wenn er solches weiß!«“[13]
Schlussendlich zeigt sich am Ende dieser Upaniṣaden ein vielleicht unvermuteter Umstand. Nach Wissen strebt man nicht grundlos, es gilt die Herrschaft über das Existierende zu erlangen. Harmlos kommen diese ersten Geschichten daher, sie versuchen uns Bilder von dem Prozess der Weltentstehung zu zeichnen. Diese Bilder werden uns nicht mitgeteilt, weil es so passiert ist, sondern weil sie uns dabei helfen sollen Wissen zu erlangen, das uns hilft das Leben zu meistern. Was uns hier angeboten wird sind Legenden, die es erlauben Überlebensstrategien zu entwickeln, die funktionieren. Für Wen? Den Wissenden? Wer ist das? In jedem Fall verweisen die Abschlusssätze der Upaniṣaden auf eine gewisse Offenheit hin, sowie uns einige Geschichten begegnen werden, die Könige zu Lehrenden machen und Brahmanen zu Schülern. Selbst weibliche Seherinnen und wissende Frauen tauchen auf. »Wenn er solches weiß!« Steht am Ende vieler Absätze, um ein Kapitel abzuschließen. Es klingt ein Bisschen wie die Abschlussprüfung: Erst weiterlesen, wenn du solches weißt!
„Die erste Bedingung für die Erkenntnis ist das Fragen.
(…)
Doch sind sich die Upanishaden sehr wohl bewußt, daß es zwei ganz unterschiedliche Arten zu fragen gibt, wovon nur die eine zur Erkenntnis und Erlösung führt. Die neugierige, bloß intellektuelle Frage ist sogar ein Hindernis für die Erkenntnis und kommt einer Art Blasphemie gleich. Die Upanishaden kennen dafür den sprechenden Ausdruck atipraśna, die ›Überfrage‹, die exzessive Frage. Es ist eine herausfordernde, kritische oder rhetorische, nicht eine echte Frage. Die Gefahr dieser Frage wird drastisch dargestellt, indem der Kopf des Fragenden zu zerspringen droht. Die andere, die existentielle Frage, setzt den Einsatz der ganzen Person voraus, es ist eine suchende, offene, engagierte Frage, eine Frage, von der das Sein oder Nichtsein des Fragenden abhängt. Sie verlangt vor allem auch den Glauben (śraddhā) das Vertrauen in den Meister. Nicht ungefähr muß der Schüler oft lange warten, ein Jahr im Fall der Praśna [Praśna Upaniṣad, Praśna bedeutet Frage, die Upaniṣad der Frage] 32 Jahre im Fall Indras, bis er überhaupt eine Frage stellen darf.“[14]
Literaturverzeichnis
Bäumer, B. (1994). Upanishaden – Befreiung zum Sein. München: Wilhelm Heyne Verlag.
Calasso, R. (2016). Ka. Geschichten von Indiens Göttern. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Michel, P. (. (2007). Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda. Wiesbaden: Marix Verlag.
[1] (Bäumer, 1994, S. 17)
[2] (Michel, 2007, S. 50)
[3] (Michel, 2007, S. 51)
[4] (Michel, 2007, S. 51)
[5] (S. 52)
[6] (S. 52)
[7] (S. 53)
[8] (Michel, 2007, S. 53)
[9] (S. 55)
[10] (Calasso, Ka. Geschichten von Indiens Göttern, 2016, S. 35)
[11] (Michel, 2007, S. 66)
[12] (S. 66)
[13] (Michel, 2007, S. 99)
[14] (Bäumer, 1994, S. 37-38)