ES WAR EINMAL, so könnte ein Märchen aus längst vergangener Zeit beginnen. Ein Märchen oder eine Geschichte, die uns helfen möchte LEBEN zu verstehen. Heute sei eine solche Geschichte vorgetragen, ist sie eine Erfindung der Tradition, ist sie tatsächlich passiert und Teil der Biographie eines Menschen? Diese Frage wollen wir bei Seite lassen, das Vorgetragene nicht nach seinem Wahrheitswert beurteilen, wir versuchen zu verstehen, warum diese Geschichte erzählt wurde.

Es waren einmal ein König und der Philosoph Shankara, vermutlich bewegte sich Shankara zwischen 788-820 oder 850 n. Chr. durch die Gegenden, die wir den Planeten Erde nennen.

Ein König und ein Philosoph, der König auf der Suche nach Zerstreuung durch das Aufsuchen von Lehrmeistern, der Philosoph als…

Die Lehre beginnt und Shankara legt Wert darauf seinem Schüler zu vermitteln wie wenig die Weisheit mit dem Alltagsverstand, mit dem praktischen Denken zu tun hat. Nicht dem Beschreiben der Welt gilt das Interesse der philosophischen Forschung, sondern kleinen Ausblicken jenseits des scheinbar Unmittelbaren.

Shankara möchte dem König die Lehre der Māyā vermitteln.

„Māyā bezeichnet den unsubstantiellen, erscheinungshaften Charakter sowohl der wahrnehmbaren, greifbaren Welt, wie der Seele – nämlich die bewussten, ja auch unbewussten Schichten und Triebkräfte der Person.

Dieser Begriff nimmt eine Schlüsselstellung im vedantischen Denken und in der vedantischen Lehre ein; falsch verstanden kann er den Schüler zum Schluß bringen, daß die äußere Welt und sein Ich jeglicher Wirklichkeit bar seien, daß sie wesenlos seien wie,‚die Hörner eines Hasen‘. Das ist ein häufiger Fehlschluß auf den ersten Stufen der Unterweisung (…)“ (Heinrich Zimmer)

Die scheinbare Welt ist nicht von Substanz, der Hunger, den ich fühle, braucht nicht gestillt werden, die Menschen, die ich treffe, sind »nicht echt«, der Alltag ist nicht von Bedeutung?! Wie der König, so wollen wir uns von diesem Vorschlag mehr als scheuen. Sich nicht mehr dem Genuss königlicher Freuden hingeben, das Selbst als Teil einer Täuschungswelt erkennen, diese Vorschläge müssen zur Revolte führen und so nimmt sich auch der König vor seinen Lehrmeister in Sachen Wahrhaftigkeit auf die Probe zu stellen.

Am nächsten Tag, der Philosoph wandert nicht böser Dinge harrend den Weg zum Palast entlang, um den König zu seiner Unterrichtsstunde zu treffen, als er sich einem wild gewordenen Elefanten gegenüber findet. Des Königs Test hat begonnen, jener möchte beobachten wie der Philosoph wohl umgeht mit dieser allzu weltlichen Bedrohung.

„Shankara machte kehrt und floh im Augenblick, da er die Gefahr erkannte. Als das Tier ihm dicht auf den Fersen war, verschwand er völlig. Man fand ihn schließlich auf der Spitze einer hohen Palme, die er mit einer eher unter Matrosen als unter Intellektuellen anzutreffenden Behendigkeit erklettert hatte.“ (Heinrich Zimmer)

Es wird an dieser Stelle das Bild eines das Leben Liebenden und akrobatisch geübten Helden gezeichnet. Wozu das alles für nur einen Haufen der Täuschungen? Konfrontiert der König fröhlichen Herzens seinen Lehrer, und es sei nicht vergessen zu erwähnen, er bittet Ihn recht herzlich um Entschuldigung.

Shankara antwortet:

„In der Tat, nach der höchsten Wahrheit ist der Elefant unwirklich. Du aber und ich, wir sind ebenso unwirklich wie der Elefant. Nur deine Unwissenheit, welche die Wahrheit durch dieses Schaupiel einer unwirklichen Erscheinung verhüllte, sah mich scheinbar auf einen unwirklichen Baum klettern.“ (Heinrich Zimmer)

Diese Antwort lässt uns zurück in Staunen, da sie nicht weniger tut als alles zu beantworten und gleichzeitig zu widerlegen. Erkenntnis beruht auf Unwissenheit.

Wir wollen versuchen es noch einmal anders zu formulieren, Erkenntnis steht in Relation, es kann nur vor einem gewissen Hintergrund sichtbar werden. Ich muss im Alltag davon ausgehen, dass die Welt existiert, ansonsten ist die Welt nicht. Falsche Wahrnehmung stellt sich im Zuge dieser Geschichte als ein verrückt kompliziertes Konzept dar. Wissen das sprachlich wird, ist ein System und nur innerhalb dieses Systems können wir uns artikulieren, wir können kommunizieren, wenn wir Voraussetzungen akzeptieren.

Wahrheit finden wir in unseren Beziehungen zur Welt, die nicht existieren mag, jedoch wer vermag das zu entscheiden? Wir wollen die Realität aus diesem Grund lieber wertschätzen, nicht jenen glauben, die sie in Worten verabschieden wollen. Sowie uns die Möglichkeit offen halten kurze Reisen zu unternehmen, jenseits, um so vielleicht neues in diese Welt der Wahrheiten einzubringen.

Zimmer, Heinrich: Philosophie und Religion Indiens. Berlin: Suhrkamp, 2016, 12.Auflage

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