Hier kurze Gedanken zu Gandhis Lesen der Gita. Die Frage stellt sich, hat Gandhi recht? Wie allgemeingütig kann über die Regeln des Lebens, über Einstellungen und Ziele entschieden werden. Wenn man von der Gerichtetheit der Konzentration spricht, geht man dann möglicherweise fehl Eins-Gerichtetheit auf ein Ziel oder Prinzip, eine Form der Suche hin ausgerichtet zu verstehen? Eine andere Version wäre Eins-Gerichtetheit als offene Aufmerksamkeit, ohne Prinzip zu probieren. Schlussendlich hat Gandhi in einer Sache immer Recht: Es gilt endlich alle Waffen abzulegen, keine Form von Gewalt hat Recht.
Gandhis Yoga durch Handeln stellt dem Denken zwei Aufgaben. Erstens müssen Philosophierende auch Handelnde sein und zweitens darf ihr Handeln nicht auf andere, ein soziales Gefüge, Situationen beschränkt bleiben, sondern muss auch Selbst-transformierende Formen annehmen. Die Wahrheit soll angestrebt werden und zeichnet sich dadurch aus, sich am Ende eines Arbeitsprozesses – der Kohärenz im Existieren und Denken der Philosophierenden erreichen möchte – zu zeigen. Allerdings ist es paradoxerweise eben dieser Prozess, der Weg zur Wahrheit, der freimacht, im Fokussieren von Lebensenergie. Gandhis Vorstellung von Freiheit bedeutet die Möglichkeit sich eine gewählte Form von Unfreiheit zu geben, nicht nur im Denken, sondern auch ganz alltäglich, in der Diät, die man hält oder den Stoffen, die man trägt. Wahrheit ist damit kein Gut an sich, sie erhält ihre Bedeutung erst mit den Transformationen, die sie, angestrebt, in einer Welt vornimmt. Wahrheit erhält ihren Wert als Freiheitsmaschine. Wahrheit findet ihre Bedeutung in der Welt, die durch sie möglich wird, in der Freiheit, die sie bringt.
Wie kann das Wahrheit-Suchen passieren? Welche Rückwirkungen muss die Suche nach der Wahrheit auf die Suchenden zwangsläufig haben? Wie kann ein solches theoretisch-praktisches und philosophisches Experiment passieren?
„Es ist besser Unrecht zu leiden als Unrecht zu tun“ (Satz, der Sokrates zugeschrieben wird und nach Hannah Arendt als Grundsatz des philosophischen Denkens notwendig ist.)
Wenn PhilosophIn im schweigenden Dialog mit sich selbst zu ihren Aussagen kommt, ist Philosophie eine dialogische Angelegenheit und kann sich die PhilosophIn nicht ganzheitlich an ihre Denkergebnisse halten, verliert sie die Basis ihres Denkens. Hannah Arendt:
„Der Denker bzw. der Mensch, sofern er denkt, kann es sich nicht leisten, Unrecht zu tun, weil er die Integrität des Partners im schweigenden Dialog mit sich selbst intakt halten muß, will er nicht die Fähigkeit, zu denken und damit auch zu philosophieren, ganz und gar verlieren.“
Der schweigende Dialog des Philosophierens im Innen, mit ich selbst, kann nicht mit einem mörderischen und ungerechten Gegenüber-Selbst geführt werden, weswegen Philosophierende Leben und Denken nicht zu trennen vermögen, ganzheitlich nach Wahrheit streben müssen, eigentlich prinzipiell gewaltfrei zu leben versuchen müssten.
Die Bhagavad Gita ist ein solches Gespräch mit sich selbst- nach Gandhi, mit der Wahrheit, die in einem wohnt. Die Bhagavad Gita, „der Gesang des Erhabenen“ ist ein Lehrgedicht, das zwischen dem zweiten und fünften vorchristlichen Jahrhundert als Teil des Mahabharata entstanden ist. Arjuna steht in dieser Geschichte Krishna gegenüber, welche Figur Gandhi als die Personifizierung von echtem Wissen und Perfektion beschreibt. Diese Idee aber, die Idee von Perfektion in personaler Gestalt, möchte Gandhi nicht aufnehmen. So versteht er die Bhagavad Gita als das Dokument eines Kampfes des/im »Selbst«. Die Geschichte, die erzählt wird, ist in ihrem größeren Zusammenhang sehr komplex, jedoch auf ihren Kern reduziert sehr einfach. Arjuna ist Krieger und sieht sich einer Situation gegenüber, in der er seine Soldaten gegen andere führen soll, die mit ihm verwandt sind. Arjuna gerät ins Zweifeln und will nicht kämpfen, weil er seine Verwandten nicht töten will. Die Bhagavad Gita ist das Dokument des Prozesses, der Arjuna schlussendlich doch noch dazu bringt zu kämpfen. Gandhi wirft Arjuna vor, sollte er nicht in die Schlacht ziehen, würde er seine Soldaten im Stich lassen, eben deren Familien dem Tod preisgeben. Aus diesem Grund sieht Gandhi keinen anderen Ausweg für Arjuna als zu kämpfen, weil er sich im Annehmen seines Status als Soldat einmal dazu entschieden hat generell zu töten, so muss er nun auch bereit sein diese Schlacht zu schlagen, da jeder Mensch in gleicher Weise zu behandeln ist und Arjuna seine Verantwortung übernehmen muss.
Gandhi hält damit fest, dass einer der potentiell bereit ist zu töten, es auch immer tun muss, wenn es sich als die Pflicht des Moments zeigt. Dies widerspricht seiner Forderung nach Gewaltfreiheit nicht, da er auch in diesem Punkt argumentieren würde, wenn einer sich zur Gewaltfreiheit bekennt, so muss er sie auch immer praktizieren.
Gandhi gibt natürlich einer Welt den Vorzug, in der alle sich für den gewaltfreien Umgang entscheiden. Es geht Gandhi damit darum, dass in einer Welt, die das Streben nach Wahrheit erlaubt, jeder orientiert an seiner Pflicht, also berechenbar handeln soll, in dem was sie/er tut nach Perfektion streben soll.
Diese Praxis nennt Gandhi nun Yoga, Gandhi schreibt:
„Yoga means nothing but skill in work“
Nach Wahrheit streben muss mit Gandhi gleichzeitig bedeuten eben auch dieses Streben aufzugeben, muss bedeuten sich für eine Tätigkeit zu entscheiden und diesen Weg dann mit Konsequenz zu verfolgen, muss bedeuten den passenden Weg für sich zu finden, einen Beitrag im Leben leisten zu können. Dieser Beitrag soll erbracht werden, ohne daran zu denken, ob am Ende Erlösung, die Einsicht, oder die Anerkennung der Mitmenschen liegt. Gandhi greift sich selbst als Beispiel auf. Er hat die Verantwortung für die Kinder übernommen, die bei ihm leben, aus welchem Grund er kein Wahrheitssuchender wäre, würde er sich in die Berge zurückziehen, um dort zu meditieren, um zu Einsichten zu gelangen. Er, so Gandhi, müsse in diesem Zusammenleben mit den Kindern, im Erfüllen seiner Verantwortung im Weltlichen die Wahrheit verwirklichen. Ganz knapp formuliert kann mit Gandhi somit behauptet werden, dass wir in jedem Moment wahrhaftig leben können, die Wahrheit jedoch sozusagen am Ende dieses Prozesses steht, das Abfallprodukt einer reflektierten Lebenshaltung ist, eines Lebens nach dem Prinzip der Wahrhaftigkeit in jedem Moment.
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