Soeben erschienen in: FREI, BDA 2. 2016 (Bund Deutscher Architekten)
Zusatz:
Die Einstellung der Autorin ist restlos von Gewaltfreiheit bestimmt. Fraglich soll in diesem Text werden wie beweglich zum Beispiel Gebäude sein müssen, um das friedliche Zusammenleben sicherzustellen. Dieser Text möchte das Lebendige ehren und »die« Stadt als eine denken, die eben dieses unterstützt.
Sei so frei, einzubrechen!
Stadt gibt es nicht. Stadt ist spontan.[1]
Gebrochenes Definieren: Obwohl Stadt das materielle Ausfransen von Entwürfen ist, benennen wir. Im Freiwerden erfinden sich Identitäten. Sprechen macht sprachliches Scheitern sichtbar.
Stadt ist kein in seiner Totalität beschreibbarer Umstand, Stadt passiert. Stadtmachen gibt Aussicht auf nicht geplante Konfrontation. In der Stadt als Aktion mag jede eintreffen ihre Geschäfte erledigen, sich einmischen, wie auch immer … Stadt besteht so lange als man sich dort aufhält; um zu… In der Stadt hat man zu tun. Ein Leben in dieser Stadt ist nicht möglich, ist unmenschlich, es braucht ergänzend private Nischen des Ruhens. Diese Stadt ist radikale Öffentlichkeit. Sie besteht als wertfreie Öffnung, die Freiheit gibt, allerdings nicht Schutz bietet.
I. „Das Urbane ließe sich somit als Ort definieren, an dem Konflikte Ausdruck finden.“[2]
Das Urbane ist – Henri Lefèbvre – Struktur seiner/unserer Gegenwart. Urbanes liegt inzwischen der radikalen Öffentlichkeit Stadt und dem privaten Ruhen. Fraglich muss werden, wie Konflikt sichtbar wird – der urban ist – der Privates und Öffentliches verbindet, Treffpunkte schafft. Dieser Text tritt für angreifbare Oberflächen ein.
„Eine Politik der Zivilität erfordert also Anstrengungen, um die Herrschaftsstrukturen radikal zu verändern und den Staat zu demokratisieren oder zu zivilisieren, zugleich aber auch Anstrengungen, um die Revolution, die Revolte und den Aufstand zu zivilisieren.“[3]
II. Subalternes Sprechen – im Kerker gesellschaftlicher Interpretationen
Frei sind jene, denen Struktur fehlt. Manche sind frei von Rechten andere von Eigentum. Wenn wir im Kontext von Kreativität oder Stadt vom Freisein sprechen, meinen wir allerdings zumeist das Freisein von einschränkenden Figuren, das Freisein zur Produktion. An dieser Stelle soll Thema werden, wie Freiheitsakte von Menschengruppen aussehen können, die frei sind von Rechten. Freisein meint hier sichtbar werden, sich sprechen können. Es geht um das subalterne Sprechen, ein Sprechen, das unvorhergesehen in die Ordnung einbrechen muss, der es fremd ist.
Subalterne sind sozial, regional und, oder geographisch nicht am Ort der Macht, werden von Repräsentation nicht erfasst, »können nicht sprechen«. Sie sind Eingeschlossene eines herrschenden Interpretationssystems, dem strukturellen, dem geordneten Missverständnis unterworfen.
Antonio Gramsci bedient sich des Begriffs subaltern, um notwendige Zugehörigkeit zu revolutionären Klassen aufzulösen. Intellektuelle werden zum Zement, vereinheitlichen den historischen Block, der divers ist. Das Selbstverständnis ist jenes der Subalternität, der Unmöglichkeit sich einzumischen, die Ferne zum Ort des Entscheidens.[4]
Gayatri Chakravorty Spivak findet ihren Kritikpunkt einer europäischen politischen Praxis in der Einstellung, man möge »dem Arbeiter« die Möglichkeit zur Rede geben und er werde selbst seine Meinung äußern. Zuerst stimmt die örtliche Verankerung nicht mehr, subaltern Lebende können nicht mehr in Fabriken aufgefunden werden, sie sind im Zentrum europäischer Gesellschaften, allerdings ebenso oft in nicht erreichbaren Räumen, verschleierten Existenzgebieten zuhause. Subalternität kann den Umstand bezeichnen vor einem Gericht geladen zu sein, um wahrhaftig sich einzubringen, an diesem Ort allerdings – beispielsweise als Frau unter vermeintlich paternalistischen Verhältnissen lebend – interpretiert zu werden. Subalternität bedeutet hiermit im Moment des Sprechens dennoch keine Aussagen tätigen zu können, mit dem tückischen Zusatz vermeintlichen Verständnisses – aufgrund von Übersetzung, eventuell sogar von Gleichsprachlichkeit, im formalen Sinne.[5]
An eben diesem Ort muss Inhalt warten, es gilt sichtbare Aktionen zu setzen, um einzig Protest zu spiegeln. Wird Sprechen strukturell missverstanden bleibt lediglich der Angriff auf Material.
„Die weiße Zivilisation, die europäische Kultur haben dem Schwarzen eine existentielle Verkrümmung aufgezwungen. Wir werden an anderer Stelle zeigen, dass das, was man die schwarze Seele nennt, häufig eine Konstruktion des Weißen ist.“[6]
III. physis & nomos
„Physis würde danach streben, sich zu formen.“[7]
Physis so argumentiert Cornelius Castoriadis ist jenes, welches das Prinzip und den Ursprung zum Schaffen von Gesetzen in sich trägt. Physis ist die sich selbst bewegende Natur. Der Nomos ist das Gesetzt. Der Nomos soll nicht auferlegt sein, sondern Schöpfung, das selbstgegebene Gesetz. Autonomie bedeutet die Wahl eben jenes Gesetzes, welches die Institution Individuum als Teil einer freien Gesellschaft hervorzubringen vermag. Demokratie, die Möglichkeit sich selbst zu leiten, kann folglich nur passieren, wenn ihre Zirkelschlüssigkeit mitgedacht wird.
„Was angestrebt wird (die Entwicklung der Autonomie), steht in einer inneren Beziehung zu dem, womit es angestrebt wird (der Ausübung dieser Autonomie).“[8]
Die Demokratie gibt es nicht. Autonomie bedeutet die selbstkritische Einsicht, dass Festgelegtes nicht funktioniert, dass die von uns gewählten Institutionen nicht stabil oder rund sind. Autonomie – sich selbst mit Gesetzten belegen – kann folglich nur bedeuten eine Suche nach dem Gesetzt und schlussendlich der Institution, die man ist, anzutreten. Autonomie bedeutet das Spielen mit dem Unbestimmten. Demokratie ist damit ein System, das beständig neue Institutionen schafft. In jedem Ausdruck in jeder Einmischung wird konkret agiert jedoch ganzheitlich Einfluss genommen.
Wir leben nun in Gesellschaften, die Teile ihrer aus dieser Macht zu Schöpfen ausnehmen. Dieses Ausnehmen wird möglich, wenn Demokratie – der Religion gleich – in ihrem Fundament als fixiert begriffen ist, als umfassend und funktionierend gedacht wird. Diese Annahme der Perfektion muss gestört werden. Störung ist im Sprechen schwierig. Angriff passiert. Diese Störung passiert in Aggression, als Gewalt gegen Menschen – was es zu verhindern gilt.
IV. Angriff
Wie kann Architektur dem Angriff Nahrung geben? Die Architektur kann ihre Oberfläche zum Angriff darbieten. Wenn Sprache versagt, wird der Angriff unumgänglich, der Mensch als sich schöpfendes Wesen wird sein Recht fordern, die herrschenden Begriffe, Lebensformen einer Gesellschaft sprengen, wenn sie unterdrücken. Architektur trägt die Möglichkeit in sich, Bewegung im Unbestimmten zu erlauben. Sie ist im Entstehen schon ein Gespräch zwischen Denken und Tun, ist reflektierte Praxis. Eine kommende Architektur kann bewusst Materialen darbieten, die es erlauben zu zerstören. 1997 zeigt die Künstlerin Pipilotti Rist (Ever is over All) die scheinbar unmotivierte Zerschlagung von Autofenstern auf zwei übergroßen Leinwänden. Ihre Waffe? Die stabile Blume! Glas ist das bevorzugte Medium, um »Ich« zu sagen. Glas bricht und zwar geräuschvoll. Glas scheint stabil, gibt jedoch schnell auf. Man stelle sich eine Welt vor, deren Glasfassaden zum Zerschlagen einladen. Man stelle sich einen Staatsfeiertag vor an dem zu Angriffen auf öffentliche Gebäude aufgerufen wird? Man stelle sich eine Architektur vor, die formal – im Neudenken dieser Einbrüche – in ihrer Reparatur wächst. Wäre eine Stadt vorstellbar, die zum anarchistischen Fest lädt, um darauf gemeinsam neue Formen zu schaffen? Sie ist notwendig. Das Urbane wird so zum Treffpunkt der pazifistischen aber kämpferischen »Materialist*Innen«.
V. Literaturverzeichnis
Balibar, Etienne. 2003. Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die zukunft des Nationalen. Hamburg: Hamburger Edition.
Castoriadis, Cornelius. 2010. Das imaginäre Element und die menschliche Schöpfung. Ausgewählte Schriften. Bd. 3. Hessen: Edition AV.
—. 1990. Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Fanon, Frantz. 1980. Schwarze Haut, weiße Masken. Frankfurt am Main: Syndikat.
Hausknotz, Florentina. 2011. Stadt denken. Über die Praxis der Freiheit im urbanen Zeitalter. Bielefeld: transcript.
Laclau, Ernesto, und Chantal Mouffe. 2015. Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus. Wien: Passagen.
Lefèbvre, Henri. 1972. Die Revolution der Städte. Berlin: List.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 2008. Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant.
[1] (Hausknotz 2011)
[2] (Lefèbvre 1972) S. 186
[3] (Balibar 2003) S. 186
[4] (Laclau und Mouffe 2015) S. 98 ff.
[5] (Spivak 2008)
[6] (Fanon 1980) S.12
[7] (Castoriadis 2010) S. 265
[8] (Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie 1990) S. 129
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