Edward W. Said stellt eine Frage: Wo liegt der Ort des Intellektuellen? Inhalt des folgenden Texts von Said sind Überlegungen zur Aufgabe, zu den Pflichten eines intellektuellen Lebens. Wenn der Titel, zumindest in seiner deutschen Übersetzung, auch anders verstanden werden kann: Wo liegt der Ort des Intellektuellen? Wo passiert intellektuelles Tun, nicht wer ist die Intellektuelle, sondern wann hat sie stattgefunden, diese Tätigkeit. Wäre dies eine Art sich dem Thema anzunähern, um der laut werdenden Kritik an einem möglichen Elitedenken von Said entgegenzutreten? Sollte der Bezug auf eine Person auf denkende und handelnde Personen verschwinden aus unserem Philosophieren? Einstweilen wollen wir uns an Personen halten. Dem Vorwurf – so wären nur »spezielle« Elemente unserer Gesellschaft geehrt – möchte ich entgegenhalten, dass Intellektuelle eben erst in ihren Handlungen, in ihrem Tun und Agieren als solche sichtbar werden. Nicht ist man zum intellektuellen, zum kritischen (Said) Leben durch Ausbildung befähigt, nein, diese ist eine Aufgabe, die sich die Einzelne stellen muss – permanent.

Womit die Frage zu wiederholen ist, wer sind die Intellektuellen? Warum soll mich dieses Thema gegenwärtig interessieren?

Etienne Balibar:

„Dies könnte und sollte dann die Aufgabe aller fortschrittlichen europäischen Intellektuellen sein, ganz gleich, ob sie sich selbst als Reformer oder als Revolutionäre begreifen: Zu umreißen, was sein könnte, und darüber eine Debatte in Gang zu bringen, worin eine Anti-Krisen-Politik im europäischen Maßstab bestehen müsste, welche demokratisch festgelegt wäre und (…)“ (Balibar 2016) S.41

Dieses Thema hat uns folglich zu interessieren, nicht um Ehrungen auszusprechen sondern, um »uns« Aufgaben zu stellen. Mit »uns« seien an dieser Stelle all jene angesprochen, die über freie Ressourcen verfügen, solche, denen die Möglichkeit gegeben ist nicht beständig im Überlebenskampf verfangen zu sein. Jede möge selbst entscheiden, ob sie nun dieser Gruppe angehört oder nicht und inwieweit. Gut, also seien hier all jene aufgerufen sich als Intellektuelle zu verhalten, denen die materiellen Möglichkeiten zum Nachdenken gegeben sind.

Womit Saids Fragestellung sich eigentlich nicht ändert, nur eine andere Färbung erhält. Wer sind die Intellektuellen? – Welches Tun kann intellektuell genannt werden?!

„So etwas wie einen privaten Intellektuellen gibt es nicht; von dem Augenblick an, wo man etwas niederschreibt und veröffentlicht, tritt man an die Öffentlichkeit.“ (Said 1997) S.18

Öffentlichkeit. Said formuliert:

„Meine These lautet, daß Intellektuelle Individuen sind, denen die Kunst des Repräsentierens gegeben ist (…)“ (Said 1997) S.18

Intellektuelles Tun bewegt sich folglich zwischen Bereichen und ist allerdings ebenso an sich mächtig, es trägt die Macht sich veröffentlichen zu können. Es bedeutet die Position Einmischungen platzieren zu können. Die Möglichkeit des Rückzugs – ins reine Denken – ist nicht gegeben, da das Produzieren nicht ohne Produzierende und ihre Verstrickungen gedacht werden kann.

„Oder läßt sich die Rolle des Intellektuellen mit mehr Recht als die eines Dissidenten begreifen? Niemals Solidarität vor Kritik – so lautet die kurze Antwort.“ (Said 1997) S.39

Knapp: Aufgabe ist es zwar solidarisch zu sein, allerdings niemals zu sehr. Götter ablehnen. Aufgabe ist es Konkretes im Allgemeinen zu denken, Kritiken selbstkritisch neuzudenken.

Intellektuelles Tun erfordert damit nach Said die Leistung nicht ganz im Eigenen zu sein, sich distanzieren zu können. Said erwartet von Intellektuellen sich im Exil zu befinden. Exil bedeutet das Leben fern von der Heimat, die jedoch durch beständige Information und Anbindung allzeit präsent ist. Exil möchte Said konkret verstehen, seiner eigenen Biographie entsprechend, aber auch metaphorisch. Exil bedeutet in jedem Fall die Ferne zu Privilegien und Macht – wenn auch bereits angesprochen wurde, dass eine gewisse Mächtigkeit – sich veröffentlichen zu können – gegeben sein muss. Exil bedeutet beständiges Bewegen, bedeutet ein Leben fern von Gemütlichkeiten und Gewohnheiten. Es ist der vielschichtige Blick, den das Exil erlaubt. Es wird möglich das Gegenwärtige – nicht nur im Kontext der im Moment für einen bestehenden Gesellschaft – zu sehen sondern ebenso vor dem Hintergrund einer anderen Form des Lebens. Die Fähigkeit eine solche Distanz im Denken einführen zu können erlaubt es die Dinge nicht nur so zu sehen wie sie sind sondern auch in ihrer Entstehungsgeschichte, so Said.

Wovon sollen Intellektuelle leben?

Die Alternative eröffnet sich für Said nicht zwischen totaler Rebellion oder völliger Ruhe. Intellektuelle können Berufe ausführen, verdienen vermutlich oft schreibend oder denkend ihr Geld, sollen allerdings in ihrem intellektuellen Tun Amateur*Innen bleiben, um den drei Zwängen des Professionalismus zu entgehen, die Said mit: Spezialisierung, Expertenwissen und unvermeidliche Annäherung an Macht und Autorität – benennt.

Schlussendlich:

Said fordert Intellektuelle auf beständig die Wahrheit zu sagen. Wahrheit? Mit großer Sicherheit wird dieses Wort in den meisten Debatten nicht gut aufgenommen, hat kein gutes Image. Allerdings möchte ich mir an dieser Stelle die Freiheit nehmen, kurz nachzuschauen was Said damit zu meinen scheint. Vielleicht wäre es sogar richtiger so zu formulieren: Said fordert ein, dass es im Konkreten, in bestimmten Situationen immer wieder Dinge gibt, die wirklich so waren, die passiert sind, die aktuell sind. Allerdings bedeutet ihm das Suchen nach Wahrheit an eben jenen Theorien, Thesen, Weltbildern und Begrifflichkeiten zu nagen, die uns vermeintlich allgemeine Aufklärung versprechen. Es darf keine Instanzen geben, die im Sinne der Wahrheit die Möglichkeit haben, das Gespräch zu beenden (Eine Ansage, die im Detail und immer neu, konkret ausformuliert werden muss!). Die beherrschende Fragestellung muss die zwischen Universalität, Lokalem und Subjektiven sein, so Said.

Hannah Arendt:

„Wo prinzipiell und nicht nur gelegentlich gelogen wird, hat derjenige, der einfach sagt, was ist, bereits zu handeln angefangen, auch wenn er dies gar nicht beabsichtigte.“ (Arendt 2013) S.42 (Das Zitat entstammt einer älteren Ausgabe, die mir gerade nicht vorliegt.)

Literaturverzeichnis

Arendt, Hannah. 2013. Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays. München: Piper.

Balibar, Étienne. 2016. Europa: Krise und Ende? Münster: Westfälisches Dampfboot.

Said, W. Edward. 1997. Götter die keine sind. Der Ort des Intellektuellen. Berlin: Berlin Verlag.


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