„Ich werde gegen alle anderslautende Kritik darlegen, weshalb die Subaltern Studies keine bloße, auf Indien übertragene Nachahmung der englischen historiographischen Tradition einer »Geschichte von unten« sein können.“[1]
Mit dem Ende der imperialen Herrschaft in Indien – August 1947 – setzt Chakrabarty die Entstehung einer modernen indischen Geschichte als Disziplin an. Die Kolonialherrschaft und ihre Bedeutung, ihre Auswirkungen werden Thema, um der offizielle Dokumentation in Dank für britische Herrschaft – Organisation und Gedankengut – zu widersprechen.
Zwei Denkrichtungen stehen einander gegenüber. Anil Seal und Bipan Chandra können namentlich für diese einstehen. Seal veröffentlicht eine Geschichte, die die Kolonialherrschaft als ein Konkurrieren und Kollaborieren der indischen Eliten mit der britischen Herrschaft beschreibt. Durch die Einbindung von InderInnen in die Kolonialverwaltung sei egoistisches Verfolgen der jeweils eigenen politischen und ökonomischen Interessen aller Beteiligten entstanden, so Seal. „Ein Gerangel um die Macht und Privilegien“[2] – Naive HistorikerInnen nur können dies für einen Freiheitskampf halten, lautet das Argument dieser Gruppe aus Cambrige.
Bipan Chandra – Lehrender der Jawaharlal Nahru Universität in den 1970iger Jahren (Delhi) – und seine Mitdenkenden beschreiben die Kolonialzeit als Kampf zwischen kolonialen und nationalen Kräften. Der Nationalismus in Indien und seine wichtigen Gestalten – Gandhi, Nehru… – wird/werden als Antithese zum Kolonialismus und regenerative Kraft beschrieben. Massenarmut sowie Kasten- und religiöse Konflikte sind Folgen des Kolonialismus.
Beide Richtungen bleiben schwierig. Weder wird eine Geschichte ganz ohne Freiheitsgedanken einleuchtend, noch kann belegt werden, dass die indische Elite für ganz Indien spricht. So wurden Hinweise gefunden, dass es ein Anliegen der nationalistischen Politik war, den Protest von BäuerInnen und ArbeiterInnen, so zu kontrollieren, dass er sich ausschließlich gegen die Unterdrückung der Briten zu richten mochte, nicht gegen die einheimischen Herrschaftseliten.
1982 treten die Subaltern Studies dieser Situation gegenüber. Eine ihrer zentralen Figuren Ranajit Guha erklärt es als Ziel beiden Ansätzen zu widersprechen und kompromisslos die elitären Klassen zu kritisieren, ob britisch oder indisch. Es sollen jene Geschichten erzählt werden, die sichtbar machen, wie unabhängig von Eliten, die Menschen den Freiheitsgedanken erfanden und veröffentlichten.
Ranajit Guha:
„Wir widersetzen uns in der Tat einem Großteil der vorherrschenden akademischen historiographischen Praxis (…), weil diese den Subalternen nicht als Gestalter seines eigenen Schicksals anerkennt. Diese Kritik bildet das Herzstück unseres Projekts“[3]
- Die subalterne Geschichtsschreibung kritisiert das Verhältnis zwischen Wissen und Macht. Sie passiert unabhängig von der nationalen Geschichtsschreibung sowie Universalgeschichten des Kapitals.
- Es passiert eine Neudefinition des Politischen:
„Die Politik der Elite habe sich auf eine »vertikale Mobilisierung« gestützt, »stärker auf die Übertragung britischer parlamentarischer Institutionen auf Indien« gesetzt und sei »tendenziell stärker legalistisch und konstitutionell ausgerichtet« gewesen. Im Bereich der »subalternen Politik« hingegen haben die politischen Mobilisierungen, »je nach Bewusstseinsstand der Betroffenen«, auf horizontalen Verbindungen wie »traditionellen Verwandtschaftstrukturen und Territorialität« oder auf »Klassenbewusstsein« basiert.“[4] - Vorherrschaft gegen den Widerstand der Eliten!
- Für die Theorie der Gesellschaft bedeutete dies die Verbindung zwischen den Aufständen der ArbeiterInnen und BäuerInnen.
Guha beschreibt BäuerInnenaufstände deren Anliegen es war die Zeichen der Herrschaft – Kleidung, Sprache, Verhalten – zu entfremden, Autoritätssymbole umzukehren. Womit diese Aufstände nicht, wie vom damaligen Marxismus, als unpolitisch verkannt werden sollten.
Guha:
„Es war ein politischer Kampf, in dem der Rebell durch Aneignung und/oder Zerstörung der Insignien der Macht seines Feindes die Zeichen seiner eigenen Subalternität abzuschaffen hoffte“[5]
Guha wendet sich, im Beschreiben der Bauernschaft als direktem Akteur des politischen Kampfes, gegen eine Kategorie des Präpolitischen. Er fordert eine spezifisch indische Geschichte der modernen Demokratie. Als allgemeine Fragestellung bringt Guha damit das Begriffpaar Herrschaft und Unterordnung in die Geschichtsschreibung und Theorie des Widerstands, einer vom Kapitalismus umfassend gestalteten Welt, ein. Indien befindet sich – zur damaligen Zeit – nicht im Übergang zum Kapitalismus, ist damit nicht vorkapitalistisch sondern zeigt eine andere Dimension im Kampf gegen und Ausüben von Herrschaft auf. Nicht Indien ist zu entwickeln sondern die allgemeinen Fragestellungen bedürfen grundlegender Veränderung.
- Die Subaltern Studies lehnen jede Stufentheorie der Geschichte ab.
- Man wendet sich grundsätzlich gegen Nationalgeschichten.
- Texte und Macht stehen im Mittelpunkt des Interesses. Wer kann formulieren. Was wird archiviert.
- „Guha behauptet an keiner Stelle, dass das aufständische Bewusstsein, von dem er spricht, tatsächlich bewusst gewesen sei, dass es in den Köpfen der Bauern existiert habe. (…) Er untersucht vielmehr die Praxen der Aufständischen (…)“[6]
„Rückblickend lässt sich daher feststellen, dass die Subaltern Studies ein demokratisches Projekt waren, das dem Bauern eine Genealogie als Bürger der zeitgenössischen politischen Moderne verschaffen wollte.“[7]
Literatur
Chakrabarty, Dipesh. Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2010.
[1] Dipesh Chakrabarty, Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2010), 19.
[2] Ibid., 21.
[3] Ibid., 24-25.
[4] Ibid., 25-26.
[5] Ibid., 27-28.
[6] Ibid., 35.
[7] Ibid., 40.
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